Karlheinz Scherer, Notiz, Sonntag, 16.01.1981

 

In der Küche eisgraues Licht
Kacheln perlmuttumrändelt
Über dem dampfenden Topf Neonröhren
Die Schalter stehen auf Stufe 6

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Notiz, Anfang 1970er Jahre

Meine Möglichkeiten liegen ganz im Malerischen, was anderes kann ich nicht, ich bin ein peinture Mensch.

 

Textbild „Cultur“, um 1973, Bunt- u. Bleistift auf Papier

Cultur/ Hochkultiviert/ diese unerhörte Malkultur/ dies Gefühl für Nuance, dieser kluge Umgang mit den malerischen Mitteln/ wahrharft edel delikat/ diese Noblesse/diese Zurückhaltung/dieses lineare Geflecht von umgangssprachlichen Hintergründigkeiten/ sodaß man den Weltuntergang kaum bemerkt.

 

Notiz, 1970er Jahre

Man hat es als ein auf dem ästhetischen Sektor sich Betätigender gern ein schlechtes Gewissen gegenüber der Realität, die heute so ungeheuerliche Formen annimmt, sodaß man sich recht elend vorkommt, wenn man nicht etwas unmittelbare die Realität Veränderndes leistet: Ich kann von mir leider nicht sagen, daß ich etwas in dieser Richtung unternommen habe. Ich entdecke immer wieder, dass ich unausweichlich einem antirealen Bereich angehöre.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß ich mich davon jemals losmache, und es mag wie eine Trotzhaltung aussehen, wenn ich schon im voraus annehme, daß ich es als Bombenleger nie zu etwas rechtem bringen werde.


Notiz, 1980er Jahre

Wenn man mich ermahnt, endlich wieder mehr zu malen und nicht ewig an meinem Haus rumzubauen, reagiere ich trotzig. Solche Vorstellungen sind dermaßen banal, daß ich am liebsten gar nichts mehr machen möchte. Die anderen produzieren ja wie die Teufel. Diese Unmengen gemaltes Zeug, mit allerhöchstem Anspruch.

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Volker Baurmeister, Schönheit lebt, in: Badische Zeitung, 30.04.2015, (Auszug)

Einfachheit war angesagt, bei der Wahl des Papiers wie der Darstellungsmittel. Selbst simple Abtönfarbe fand Verwendung. So bei der Tischplatte, auf die Scherer als Bildträger zurückgriff und die jetzt bei Robert Keller im Weißen Zimmer hängt. Ein flackerndes hell-dunkles Ornament bedeckt und beglaubigt die Fläche.

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Was der berüchtigte Tiefsinn fürchtet wie der Teufel das Weihwasser – einen Karlheinz Scherer schreckte es nicht. Der bekannte sich zur viel gescholtenen Oberfläche; die Schönheit suchte er nirgendwo anders. Die verkrampfte Rechtfertigung, den Wust von Behauptungen – den ganzen leider ziemlich verbreiteten faulen Zauber des künstlerischen Anspruchswesens schließt der Nonkonformist Scherer für sich rigoros aus.

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Peter Bosshart, Manuskript 2013, (Auszug)

 

Ein wichtiger Teil der Arbeit von K.S. war das ständige Verändern, Umstellen und Umbauen im historischen Stapflehaus und seinen an- und ausgebauten Wirtschaftsgebäuden. Ein Kosmos, der nach und nach Gestalt annahm. Immer, wenn etwas dazukam, wurde das Bestehende durch das Neue verändert und beeinflusst. Dadurch, dass er darin wohnte und arbeitete, war sein Leibgefühl der Resonanzkörper für die Empfindung von Unstimmigkeiten.

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So wie er seine Bilder immer wieder neuerlichen Prüfungen unterzog, sie überarbeitete und verwarf, so konnte es sein, dass Räume alleine durch das Umstreichen eine ganz andere Raumtemperatur bekamen, was wiederum angrenzende Räume veränderte und sie neu verstehen und erleben ließ. Das ergab dann ein Umstellen und auch das Herstellenlassen von neuen Gebrauchsmitteln, etwa von Tischen und Bänken.
Da geht man durch einen kleinen niedrigen Flur und erlebt die von ihm erschlossene, ausgebaute Scheune fast als einen sakralen Ort, der vom Fussboden bis zum First sichtbar ist. Oberlicht genügt für diesen in sich geschlossenen Corpus. Der Vergleiche gibt es natürlich viele: so etwa auch Eingeweide, die vom Bakterium Mensch bewohnt werden …

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Hans-Joachim Müller, Einführung Ausst. Zeitspur, Markgräfler Museum Müllheim, 2010, (Auszug)

„Uschi O. mit farbigen Fäden“, eine Ölskizze aus den siebziger Jahren. Scherer hat sie, das hat er früher öfters getan, nach einem Illustriertenfoto gemalt. Genau genommen ist es ein übermaltes Illustriertenfoto.

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Aber was heißt schon „genau genommen“? Wer weiß, was sich unter der opaken Malerei wirklich verbirgt? Ob es tatsächlich eine Vorlage gab und wie die Vorlage, wenn es sie denn gab, ausgesehen hat und ob die Uschi O. auf dem Foto so nackt war wie sie auf dem Bild nackt ist – wer weiß das alles? Das schöne Mädchen trägt seine nackte Haut wie ein eng anliegendes Kleid. Die farbigen Fäden umspielen nervös das eng anliegende Hautkleid, und es ist gänzlich unentscheidbar, ob die vorherrschende Geste des Bildes eine des Zeigens ist oder eine des Verbergens, des Verheimlichens.

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Margitta Brinkmann, Karlheinz Scherer, in: Zeitspur, Freiburg 2010, (Auszug)

 

In die gestisch-abstrakte Malerei einzutauchen, verboten ihm neben der Furcht, sich erneut an Vorbildern abzuarbeiten, Einsicht und Selbstverständnis. Dem männlichen Geniekult vorhergehender Avantgarden war der Nachgeborene nicht zugeneigt, und so zahlte sich schließlich im Licht der internationalen Entwicklungen das Beharren auf dem eigenen Weg aus.

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Die „neue Figuration“, die sich in anderen Teilen Europas als Reaktion auf die große Geste der informellen Malerei gebildet hatte, erhielt ungeahnten Schub durch den spektakulären Einzug der amerikanischen Pop-art, die sich aus vergleichbaren Motiven speiste. Scherers Bilder werden größer und selbstbewußter, die Farben leuchtender. Jetzt ist er ganz bei sich und in seiner Zeit angekommen. Lokale und persönliche Motive mischen sich mit medialen Inszenierungen von Realität.
Die Akzeptanz des Gegenständlichen im zeitgenössischen Kunstbetrieb erlaubte es Scherer, auch eine andere Seite seiner malerischen Intuition auszuleben. Das Interesse an Wiederholung und Serie, die Konzentration auf Form, Oberfläche und akzentuierte Farbklänge, die seine figürlichen Darstellungen so überzeugend gestalten, führten ihn fast gleichzeitig zur Entwicklung eines ornamentalen Stiles.

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Volker Bauermeister, Die Blüten, die Frauen, die Muster, in: Badische Zeitung, 17.01.2008, (Auszug)

 

Was er aufgriff, verwandelte sich in Malerei, in farbige Zeichnung. Ein übermalter Dekostoff konnte das sein. Oder eine Frauenfigur, die ihm eine mythische Erzählung zuspielte, löste sich in Farbe auf.

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Blüten und Frauen schmilzt er in malerische Muster ein. Daphne, die sich bei Ovid in einen Lorbeerbaum verwandelt, wird Malerei bei Scherer. Ophelia, die sich ertränkt, versinkt nun in Malerei. Die „Susanna im Bade“ des venezianischen Altmeisters Tintoretto ließ Scherer in Variationen in einer wunderbar vieläugigen Nacht aufgehen. Und Malerei breitet sich auch gar über Bildrahmen aus und lässt das Gemalte selbst zum realen Objekt des Begehrens werden. … Er malte schlicht und gekonnt, was er empfand: die Malerei als die große Verführerin.

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Annemarie Monteil, Die Dinge dahinter, in: Basler Zeitung, Basler Agenda, 27.06.2002, (Auszug)

 

Wirklichkeiten hinter dem „ersten Blick”. Man spürt Realitätsbezüge, aber sie wirken, als liebe der Maler das Sichtbare um des darin verborgenen Unsichtbaren willen, das es zu „lesen” gilt.

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Arbeitsprozesse können über Jahre dauern, Farbschichten schaffen – ohne eigentliche Perspektive – Tiefendimensionen. Intellekt und Gefühl, Pinselgeste und Erleben sind nicht getrennt.
Mit „All over” wurden die Bilder auch schon verglichen. Man möchte eher von einer sehr persönlichen Weise des Expressiven reden, die Farbkompartimente und bewegte Linien als verflochtene Bilderschrift einsetzt. In grossen Formaten wird sie zur eigenen Textur. In Aquarellen heben sich Details eines Gestirns, eines Durchblicks wie kleine Kostbarkeiten aus schwebenden Gründen.

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Hans-Joachim Müller, in: Ausst.-Kat. Karlheinz Scherer 1970 – 1980, Kunstverein Freiburg i. Br., (Auszug)

 

Ein wenig hilflos erlebt Scherer derzeit auch, wie seine Bilder eine jähe, ungeahnte Aktualität bekommen. Pattern, Muster, Ornament, Dekor - so melden die Frontberichterstatter des Kunstbetriebs - das seien die neuen Trends, gewissermaßen der neue Trend, die Bewegungsrichtung der Kunst in die achtziger Jahre hinein.

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Es wird wohl wenig nützen, Karlheinz Scherer vor marktgerechten Etiketten mit dem Hinweis zu schützen, daß er seine Malerei »durchmustert« hat Jahre bevor die wundersamen Tendenzberichte aus den USA vorlagen. …
Die Trennlinie ist anderswo zu ziehen. Die »offiziellen« Vertreter der neuen Dekor-Euphorie treten mit unverhohlenem Antiintellektualismus auf. Ihr Plädoyer gilt einer Kunst als einem der letzten Reservate des vorab Irrationalen, des kopflos Sinnlichen. … Mit plumper Fröhlichkeit indes, mit dieser Hoppla-hier-bin-ich-Biederkeit haben Scherers Bilder nichts gemein. Verständlich und logisch ist die Ausrichtung von Scherers Malerei in den siebziger Jahren nur, wenn man ihren viel längeren Bewegungsverlauf kennt.

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